Begegnung mit dem Tod

Er mochte diese Tageszeit am liebsten, wenn das Tageslicht von der Dunkelheit abgelöst wurde. Nicht oft hatte er Gelegenheit zu einem Spaziergang in der Menschenwelt, doch jetzt genoss er diesen Feldweg und die Stille, die sich langsam ausbreitete.
Doch lange konnte er das nicht, denn jemand wichtiges würde in den nächsten Momenten sterben. Der Todesengel ließ ein sanftes Lächeln sehen, ehe er sich auflöste. Er hegte keinen Groll gegenüber dem Sterbenden, denn er lebte für seine Aufgabe. So verflüchtigte sich seine feste Gestalt und er löste sich auf, nur um auf einem dunkler werdenden Platz wieder aufzutauchen. Auch wenn das nicht ganz richtig war, denn er wurde nicht sichtbar.
Mit ruhigem Blick erfasste er die Situation und den Unfall, der einem jungen Menschen... nein, keinem Menschen, aber einem jungen Wesen das Leben kosten sollte. Azrael schritt näher, geräuschlos, selbst wenn er einen festen Körper gehabt hätte.
Ohne dass die Anwesenden ihn bemerkten, ging er neben dem Sterbenden in die Hocke und lächelte ihm sanft zu, nur er konnte ihn sehen und wahrnehmen, ebenso wie die friedliche Ruhe, die er ausstrahlte, die er ihm gab um die Angst vor dem Sterben verschwinden zu lassen.

Er war eigentlich nur auf dem Weg vom Supermarkt nach Hause gewesen, wie immer mti seinem Skateboard unterwegs. Er war sich sicher gewwesen, dass kein Auto und erst reicht kein Kleinlaster auf der Straße fuhr und dann.. dann hatte er nur noch ein dumpfes Krachen gehört und einen fürchterlichen Schmerz in seinem Körper gefühlt. Alle seine Sinne außer dem Schmerzempfinden und dem hören hatten sofort ausgesetzt. Hupen war da, dann überall laute Stimmen um ihn herum.. Aber er fühlte sich zu schwach und der Schmerz war so groß, dass er gegen die wohlige Dunkelheit gar nicht ankämpfen wollte. Bestimmt war er dort frei von Schmerzen. Angst.. war nur kurz aufgekommen, doch dann kam die Ruhe - und er ließ sich fallen.

Niemand sah wie der Todesengel seine Hand ausstreckte und somit dafür sorgte, dass die Seele des Jungen den Körper verließ. Es war zwar noch der Verletzte, doch wie man es in Filmen so gern sah, besaß er zwar noch seinen 'Körper', doch war dieser durchscheinend und besaß eine leicht schimmernde Aura, eine helle wohlgemerkt. Azrael lächelte noch immer sanft, strahlte diese Ruhe aus und hielt nun die Hand des anderen in seiner. "Ich bin hier um dich zu führen, Thelvyn." erklärte er mit einer sehr angenehmen, beruhigenden und dunklen Stimme, die zudem noch so sanft klang, wie sein Lächeln aussah.

Sein Fall dauerte nicht lange, tat nicht weh und er spürte, wie der Schmerz sich verflüchtigte, die Erinnerung daran war aber noch deutlich. Als er die Hand spürte, riss er sofort die Augen auf und fragte sich, ob das etwa schon der Tod war. Aber dafür wirkte der Mann viel zu nett. "WTF?! Woher kennst du meinen Namen?"

Ein feines Schmunzeln wurde sichtbar, als er den Fluch hörte und die Frage beantwortete er zunächst nicht, sondern ließ stattdessen die Hand sanft aus seiner eigenen gleiten. Der allgemein genannte Tod erhob sich und erneut machte sein Mantel kein einziges Geräusch, während das Lächeln blieb. "Ich kenne Euren Namen deshalb, weil Ihr damit geboren wurdet." Azrael, dem die langen roten Haare bis zu den Knien reichten, sah den Jüngeren ruhig an, ehe er noch einmal zum Sprechen ansetzte. "Ich habe Euren Namen geschrieben, als Eure Geburt gekommen war. Wie jeden Namen von jedem, der geboren wart und noch wird."

"Oh Gott.. ich glaub ich hab nen Alptraum." Hektisch sah er sich um, nachdem er sein Gegenüber skeptisch gemustert hatte. "Okay, Schluss damit. Du hast mich erschrocken, ich hatte Schmerzen und du hattest deinen Spaß. Also bring mich gefälligst wieder dahin zurück, wo du mich hergeholt hast!"

Noch immer verschwand das Lächeln nicht von seinen Lippen, er hatte schon viel erlebt, wenn er die Seele holte und es gab wohl nichts, was ihn aus der Fassung bringen könnte. Der Rothaarige deutete mit der rechten Hand nach unten, etwas seitlich und fragte ruhig: "Möchtet Ihr wirklich wieder in den geschundenen und totgeweihten Körper zurück und bis zum letzten Moment dort verbringen, ehe ich Euch in die nächste Welt bringe?" Fragend sah er ihn an, trat einen halben Schritt näher und deutete dann mit einer leichten Geste auf die ankommenden Sanitäter. "Aber wir können warten, denn manches Mal schaffen sie es den Körper zu erwecken und ich kann dann Eure Seele dorthin bringen, wo ich sie geholt habe..."

Obwohl er an so etwas eigentlich nicht glaubte, fühlte es sich zu echt an, um nicht real zu sein. Testend griff er nach dem Typen, um zu checken, ob er echt war oder nur eine Traumgestalt. Dann sah er den Wink und betrachtete seinen blutig matschigen Körper. "Na klar will ich da hin! Das ist mein Körper! Was erdreistet du dich eigentlich, mich da einfach rauszureißen? Du hast gefälligst zu warten, bis ich tot bin.. Wer hat dich denn zum Sensenmann erklärt, eh?"

Als er sah wie Thelvyn nach ihm griff, reichte er ihm einfach seine Hand. Sie beide konnten sich spüren, sich hören und sehen, doch für alle anderen waren sie weder sicht- noch hör- oder fühlbar. Sie befanden sich jetzt fast gänzlich in der Zwischenwelt, Azraels Reich. "Ich habe etwas früher eingegriffen, weil ich Euch damit den Schmerz und die Angst ersparen wollte. Aber ich kann Euch auch wieder zurückkehren lassen, wenn Ihr es wünscht." Der wesentlich Ältere lächelte ein wenig mehr, als er die letzte Frage nach einer kurzen Pause beantwortete: "Es war nach meinem Fall Luzifer persönlich, der mir diese Aufgabe zuteilte. Ich bin Azrael, der Todesengel."

Thelvyn betastete die Hand, zog daran und drückte. Scheinbar war der Sensenmann echt. Aber warum zum Teufel war er so schnell dagewesen? Wenigstens schien er nicht so gierig auf seine Seele zu sein, wie sie es in diversen Filmen immer darstellten. "Ich glaub dir kein Wort!" Unruhig sah er wieder zu seinem Körper runter. "Beleben die mich schon wieder? Was fummelt der Typ an meinem Shirt rum?!"

Es war einfach seine Art und so erwiderte er den Druck seiner Hand sanft und sah ihm ruhig entgegen. "Ihr werdet mir schon noch glauben, denn dieser Wahrheit könnt Ihr Euch nicht entziehen." Azrael sah unbeeindruckt dabei zu, wie die Sanitäter die Reanimation einleiteten und ließ dann ein leichtes Schmunzeln sehen. "Ja, das tun sie und sie müssen Euer Oberteil dafür selbstverständlich unbrauchbar machen, damit sie alles erdenkliche tun können, um Euch in Eure Welt zurück zu bringen."

Die Unruhe in ihm steigerte sich, konnte aber nicht zu Angst werden. Trotzdem zitterte er, als wäre ihm kalt. "Treibst du nur ein Spiel mit mir, oder bist du wirklich so nett, wie du tust?" Zögernd beobachtete er die Sanitäter und wie sein Körper nur zuckte, als sie ihm die komischen Stromschläge verpassten. "Ich will noch nicht sterben verdammt.. Da ist wer, der auf mich wartet! Bring mich wieder zurück!" Natürlich bat er nicht, er verlangte.

"Ich bin dazu da um gerade Verstorbene in ihre nächste Welt zu geleiten und um ihre Fragen zu beantworten. Ich hole die Seelen ab, ich habe keinen Grund anders zu sein, als ich es bin, nicht wahr?" Sanft lächelnd sah er den Jüngeren an und neigte leicht seinen Kopf. "Viele haben jemanden, der auf sie wartet, doch darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Wenn Eure Zeit wirklich gekommen ist, werdet Ihr Eure Welt verlassen müssen. Dies ist ein unumstößliches Gesetz. Doch scheint mir, dass Ihr noch nicht erwacht sein." Azrael sah zu dem kurz zuckenden Körper, ehe er weiter sprach. "Das ist die einzige Möglichkeit, ansonsten wäret Ihr nicht so schwer verletzt."

"Ich denk eher, dass ich in einem beschissenen Alptraum bin und mal wieder kein Schwein da ist, der mich weckt. Sorry, aber so real du dich auch anfühlst, für mich bist du nur ein komisches Gespenst, dass mir die Erholung vom Schlaf raubt. Und wenn du doch echt bist, dann bring mich jetzt auf der Stelle dahin zurück, wo du mich her geholt hast. Such dir nen anderen Toten!"

Es störte ihn nicht, dass der Jüngere so mit ihm redete, er hatte schon Schlimmeres erlebt und gehört. Deswegen blieb auch sein Lächeln bestehen und seine Ruhe strömte noch immer von ihm, ganz sachte und behutsam umschloss sie den Todesengel als seine übliche Aura. Er konnte, wenn er wollte, sie ausweiten und verstärken, aber das war bisher nicht nötig gewesen. "Ich verstehe, dass Ihr mir nicht glaubt, doch das ändert nichts an den Tatsachen, dass Ihr dabei seid zu sterben und Euer bisheriges Leben zu verlieren. Aber wenn Ihr wirklich wünscht, werde ich Euch bis zum endgültigen Ende in Euren Körper zurück schicken. Aber ich werde bei Euch bleiben. Zur Zeit gibt es keinen wichtigeren Sterbenden als Euch."

"Was soll das heißen.. keine wichtigeren Sterbenden?" Seine Verwirrung schlug nun doch in Angst um, die sich allmählich steigerte. "Hör auf mich hier festzuhalten! Kein Wunder, dass die Typen mich nicht wiederbeleben können! Lass mich gehen!" So hibbelig wie er im Leben war, war er jetzt auch im Tod und versuchte selbst zu seinem Körper zu gelangen..

"Das soll heißen, dass ich immer nur zu den Sterbenden gehe, die wichtig für die eine oder andere Seite sind. Und Ihr seid noch für beide Seiten wichtig." Lächelnd und völlig ruhig sah er den zunehmend aufgebrachteren Jungen an. "So sei es. Aber beschwert Euch nicht, wenn wir uns das nächste Mal wiedersehen. Wie früh oder spät dies auch sein mag." Azrael nahm behutsam die Hand des Jüngeren und geleitete ihn wie damals bei Hofe zu Tisch, oder hier besser gesagt zu seinem Körper und dort angekommen, löste sich Thelvyn auf, um das Bewusstsein in seinem Körper zu haben, aber nicht um aufzuwachen. Das würde er erst, wenn die Sanitäter erfolgreich waren. Azrael blieb an seiner Seite, ging dort wieder in die Hocke und hielt unbemerkt und für die Seele spürbar die Hand des Sterbenden.

"Hä?!" Tak kapierte gar nichts und fragte sich, ob der Typ nicht einfach nur sturzbesoffen war. Was für ein beschissener Traum! Aber er war ja nicht blöd: "Wenn ich so wichtig bin, dann sollte ich wohl besser leben!" Breitwillig ging er mit und von der angenehmen Dunkelheit blieb ihm nicht lange was. Blitze vor seinen Augen erschienen plötzlich, die Geräusche waren dumpf und dann fand er seine Stimme wieder und schrie vor Schmerzen, als er wieder ins Leben zurückkehrte und sein Herz wieder schlug.

Azrael schmunzelte ein wenig bei dieser Feststellung und neigte kaum merklich, aber zustimmend, seinen Kopf. "Ich warte auf Euch... und wir werden uns wieder begegnen..." Das war das letzte was der Todesengel ihm sagte, bevor Thelvyn zurück ins Leben gerissen wurde. Als er zurück kam richtete sich der Rothaarige auf, wobei seine rot-braunen Augen auf dem verletzten Jungen lagen, der ihn zwar nicht mehr sehen konnte, dafür aber spüren, denn schließlich war er kein Mensch. "Ich hoffe, dass wir uns nicht so bald wiedersehen werden, Thelvyn." Nach diesen Worten küsste er sachte die Stirn des Jüngeren, während dieser auf der Trage fest gemacht wurde und dann in den wartenden Krankenwagen geschoben wurde. Azrael sah ihm nach und beschloss, entgegen seinen Gewohnheiten, auf ihn zu achten. Es interessierte ihn, welcher Seite er angehören würde, wenn er erwachte.

Thelvyn wollte noch etwas erwiedern, bekam aber keine Gelegenheit mehr dazu und tauchte wieder in den See der Schmerzen ein. Stöhnend erlangte er wieder und wieder das Bewusstsein, nahm am Rande noch die letzten Worte und ein eigenartiges Gefühl auf seiner Stirn schickte ihn wieder zurück in wohlige Dunkelheit, die diesmal aber nur Bewusstlosigkeit war.

Azrael überließ es den Menschen den Körper des Jungen zu heilen oder eher, diesen bei der Selbstheilung zu unterstützen. Der Todesengel tauchte jedoch immer mal wieder in unregelmäßigen Abständen in seiner Nähe auf. Niemals sichtbar, doch spürbar. Er beobachtete ihn in gewissen Abständen, blieb aber nie länger als einige Augenblicke und er mischte sich nie in seine Entscheidungen ein, wie es Schutzengel zu tun pflegen. Etwa einen Monat später jedoch ging er spazieren, wieder war es in der Abenddämmerung und als Mensch getarnt, lief er eine der abgelegeneren Straßen entlang, die so einige Kanten, Geländer und ähnliches ihr eigen nannte.

Thelvyns Körper brauchte lange, um wieder zu regenerieren. Rippenbrüche und übelste Prellungen und Quetschungen machten ihm das Leben zur Hölle, aber alles war ihm lieber, als das was er da erlebt hatte. Die Erinnerung an den Sensenmann hatte er schnell wieder verdrängt und doch eigenartiges Herzklopfen bekommen, wenn die Luftkonzentration sich um ihn herum geändert hatte. Es war kein angenehmes Herzklopfen gewesen. Irgendwann hatte er aber den Heilungsprozess überstanden und gewöhnte sich und seinen Körper wieder an die Bewegung. Natürlich ging er es nicht langsam an. Das Skateboard klebte schon wieder unter seinen Füßen, aber nicht für lange. Er wollte auf das Geländer springen und daran runter sliden, verlor aber das Gleichgewicht, stürzte mehr oder weniger schwer, während sein Board durch die Luft flog und in Azraels Nähe landete.

Der Todesengel, der diesmal seine Zeichen verborgen hielt, blieb stehen als das Skateboard in seiner Nahe nach dem Sturz seines Besitzers zum Stehen kam. Er drehte sich lautlos um, doch erschien sein altbekanntes Lächeln auf seinem Gesicht, als er Thelvyn sah. "Ihr solltet ein wenig mehr auf Euch Acht geben, meint Ihr nicht? Sonst muss ich Euch meine Begleitung früher als gedacht anbieten." Azrael hob das Skateboard auf und brachte es zu dem Jungen, neben dem er in die Hocke ging, wobei sich sein Mantel wie von selbst aus der Hockbewegung hinter ihm auf dem Boden ausbreitete, damit seine langen Haare nicht auch darauf zu liegen kamen.

Thelvyn fluchte leise und rappelte sich in eine sitzende Position auf. Sein Ellbogen fühlte sich aufgeschrammt an und ein dumpfer Schmerz machte sich wieder in höhe seines Rippenbogens bemerkbar. Bei der bekannten Stimme sah er auf und wirkte vollkommen entsetzt. "VERSCHWINDE! Ich bin alles, aber nicht tot!" Rückwärts kriechend versuchte er von ihm weg zu kommen. "Du bist nur eine scheiß Hallu von meinen scheiß Drogen!"

"Ich bin nicht hier um Euch abzuholen und ich weiß sehr wohl, dass Ihr noch nicht tot seid. Allerdings wollte es wohl das Schicksal, dass Ihr dort trainiert, wo ich meinen Spaziergang mache. So sehr ich mich freue Euch zu sehen, so sehr ist das Gegenteil bei Euch der Fall. Aber das ist verständlich und es liegt nicht an dem Heroin, das Ihr genommen habt, dass ich hier bin und Ihr mich seht und hört. Ich bin durchaus real. Und wie ich schon sagte, ich bin nicht hier, um Euch in die nächste Welt zu geleiten."